T4 – Der Fall Irma Sperling

   In der Familie Sperling wurde oft musiziert und gesungen. Auch Irma , das siebte von 12 Kindern der Arbeiterfamilie, war von der Musik sehr angetan. Sie saß als kleines Kind oft abends am Bett und klatschte im Takt mit. Doch Irma verbringt nur drei Jahre im Kreis der Familie. Ihre Mutter ist krank und Ihr Vater verliert als Mitglied der Arbeiterbewegung seine Anstellung bei der AOK. Irma die bisher in eine Tageskrippe besuchte wird in die „Alsterdorfer Anstalten“ verlegt Im August 1933 wird bei ihr „Schwachsinn“ diagnostiziert.

Hörstolperstein Irma Sperling

   Bereits im Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen. Auf dessen Grundlage 400 000 Menschen zwangssterilisiert wurden – 6000 von Ihnen überlebten den Eingriff nicht. Hintergrund für dieses Gesetz und weitere Aktionen war die Idee der „Eugenink- Rassenhygyene- Vernichtung unwerten Lebens“. Die „Arische Rasse“ sollte zu einer „überlegenden Rasse“ aufgebaut werden. In der Konsequenz bedeutete dies die die Verhindeung „der Vermischung mit anderen Rassen“ die Ausmerzung deren, die zwar „arisch“ waren aber dennoch nicht ins Bild der überlegenden „Arier“ passten und eine Familienpolitik, die mit Steuererleichterungen und Mutterkreuz die Vermehrung von Menschen förderten, die bestimmten Kriterien entsprachen.

   „8.  Jänner 1944, 17 Uhr 10 Minuten“, dies war der Zeitpunkt an dem laut Sterbeurkunde Irma Sperlings leben ausgelöscht wurde. „Todesursache: Grippe, Lungenentzündung“. Gemeinsam mit 227 anderen Kindern war Irma Sperling 1943 nach Wien in die Heilanstalt „Am Steinhof“ gebracht. Dort starb sie wahrscheinlich an den Folgen des Stoffes Luminol, dass heute zur Spurensicherung an Tatorten eingesetzt wird. Ihr Gehirn wurde nach Ihrem Tod präpariert und lagerte bis 1994 in der „Gehirnkammer“ um dort medizinischen Forschungszwecken zu dienen. 1996 wurden die Überreste ihres Gehirns in Hamburg beigesetzt.

   Die Nazis selber sprachen von einem Euthanasie -Programm. Der Begriff, aus dem griechischen übersetzt bedeutet soviel wie „schöner Tod“. Um begrifflichen Verwirrungen vorzubeugen wird heute von der Aktion T4 gesprochen. T4, weil die Ermordung von der Berliner Tiergartenstraße Nr. 4 aus organisiert wurde. 1939 wurden in einer ersten Phase ca. 5000 Kinder getötet. 1941 wurden 70 000 Menschen, die in Heimen, Heil- und Pflegeanstalten untergebracht waren vernichtet. Während dieser Phase kann erstmals von einem industriellen Massenmord im NS- Staat gesprochen werden. Relativ bekannt ist, dass es aus christlichen Kreisen zu Kritik an dem Vorgehen kam. Doch die Ermordung wurde im Stillen fortgesetzt. Die „Patienten“ starben an Mangelernährung und/ oder an der Überdosis eines Starken Medikamentes.

   Das unbehelligte Weiterleben der verantwortlichen Ärzte reiht sich an dieser Stelle nahtlos in die unvollständige Verfolgung anderer NS-Täter ein. Das Beispiel Heinrich Gross zeigt dies sehr deutlich. Dieser machte nach 1945 in Österreich weiterhin Karriere als Arzt, obwohl in den 1950er Jahren bereits gegen ihn ermittelt wurde. Er wurde Chefarzt der Heil- und Pflegeanstalt Spiegelgrund, in der Abteilung für Kinderheilkunde. Ferner erhielt Gross 1975 das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Für 12 wissenschaftliche Publikationen benutzte er die Gerhirnschnitte seiner Opfer aus der NS-Zeit, ohne ihre ursprüngliche Herkunft zu erwähnen. 1981 stellte das Oberlandesgericht Wien fest, dass „Dr. Heinrich Gross an der Tötung einer unbestimmten Zahl von geisteskranken, geistesschwachen oder stark missgebildeten Kindern mitbeteiligt war. Verurteilung wurde er dennoch niemals. Letztmalig wurde 2005 Anzeige gegen Gross erstattet, allerdings wurde die Staatsanwaltschaft nicht mehr aktiv, da er im selben Jahr verstarb.

 

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